Michelstädter Citycross 2012

Mit Phillip Lahm sage ich: Ich war ganz klar der bessere Fahrer !

Schon im Startblock um 15:40 Uhr in einem Feld von 23 Lizenz- und Hobby-Cyclocrossern war mir klar, dass dies mein Tag, mein Rennen, mein Triumph sein wird. Der Traubenzucker und das erste Gel meines Lebens brodelten in meinem Innern, und warteten nur darauf, explosionsartig ihre gewaltige Wirkung zu entfalten.

Als der Startschuß fiel gab ich mächtig Gas, wollte aber auf keinen Fall die deutsche Elitenkonkurrenz so früh demotivieren und blieb, als letzter im Startblock gestartet, brav hinter dem Starterfeld. Ja, ich ließ sogar zu, dass sich bereits direkt nach dem Start eine kleine ca. 50 m große Lücke zwischen mir und dem Starterfeld bildete. So wollte ich die Konkurrenz zunächst in Sicherheit wiegen. Die 2 km lange Runde war ausreichend mit Absperrband gekennzeichnet, meinen Weg würde ich also zunächst auch alleine finden.

8 Runden, 16 km Wettkampfdistanz waren zu absolvieren, für einen sehr ernsten Hobbycrosser wie mich also kein Problem. Die Taktik war, ab der 3. Runde mit leichtem Abstand, aber immer in Sicht- und Fühlweite die Konkurrenz quasi von hinten zu verunsichern, und in der vorletzten Runde, wenn keiner mehr damit rechnete, zu zünden und in einem Grand Finale den Triumph einzufahren.

Sicht- und Fühlweite zur Konkurrenz stellte ich dann tatsächlich in der 4. Runde her, indem ich einem jungen Fahrer, der plötzlich hinter mir „REEECHTS !!!“ schrie, erlaubte, mich zu rechts überholen. Wo kam der Bengel plötzlich hinter mir her, ich war doch der letzte des Feldes !?

Aber keine Zeit jetzt, dieses logische Problem zu bearbeiten, schließlich galt es eine wochenlang ausgefeilte Taktik minutiös umzusetzen. Die leichte Atemnot, die ich in der 5. Runde verspürte, musste vom stark überhöhten Puls kommen, war aber eingeplant und konnte mich nicht verunsichern.

Einige der 90-, 130- und 180-Grad-Kurven des extrem engwinkligen Parcours durch die historische Altstadt von Michelstadt nahm ich jetzt großzügiger, um Kraft zu sparen. Es gibt schließlich rein mathematisch betrachtet verschiedene Ideallinien um eine Kurve. Einige der Zuschauer hinterm rot-weißen Absperrband rechneten allerdings nicht mit meiner Ideallinie, und sprangen lustig in alle Richtungen, wenn ich das Band vor ihnen tuschierte. Mehrfach hätte es mich fast vom Crosser in die Michelstädter Schaufenster gehauen, war aber alles eingeplant. Wenn man die Pace erhöht, geht das immer auf Kosten der Fahrsicherheit.

Der Veranstalter hatte sich etwas perfides einfallen lassen: ein verstellbare Treppe, über die das Rad getragen werden mußte. In jeder Runde hatte die ursprünglich mit 3 mal 3 Stufen ausgestattete Treppe einige Stufen mehr. Genial, aber sehr anstrengend! Dafür ging das halbe Gel drauf.

Die Zuschauer vor der Scheune – man fuhr tatsächlich durch eine Scheune! – schrien immer wenn ich kam „Schneller, Mann, schneller, die anderen sind schon lange durch !!!“. Immerhin wusste ich so, daß die anderen noch da waren. Unter der enormen Konzentration und Fokusiertheit auf meine Taktik hatte ich ganz vergessen, auf welcher Runde ich war. Wenn die anderen aber auch noch da waren, war das Rennen offensichtlich noch im Gange.

Zu Beginn der 6. Runde erspähte ich plötzlich das Fahrerfeld vor mir, in Form eines Fahrers. Ich gab noch einmal Speed und verringerte die Distanz langsam, aber konstant Meter um Meter. In Höhe der 20 Meter hohen furchterregenden Schikane im Stadtgraben hatte ich ihn eingeholt, von hier aus wollte ich nun zuerst ihn, dann Fahrer für Fahrer einsammeln. Es waren allerdings komischerweise keine anderen Fahrer zu sehen. Nun gut, fangen wir mit diesem an, der Rest ergibt sich. Ich fuhr auf, er trat an, ich fuhr wieder auf, er kämpfte sich wieder ein Stück weg. Irgendwie fuhr er einen seltsamen wackeligen Radstil. Auf dem Asphalt erkannte ich warum: sein Hinterrad war total platt. Was für eine geniale Verunsicherungstaktik! Musste ich mir merken.

Lässig überholte ich ihn nun auf dem Asphaltstück. Nicht mit mir, mein Freund, dafür bin ich zu abgebrüht. Die Lässigkeit meines Überholmanövers strengte mich ein wenig an, denn als ich schließlich auf der Zielgeraden vor ihm fuhr, meldeten meine Sensoren abfallende Geschwindigkeit, Puddingbeine und das Gel, dass es jetzt dann ganz weg sei.

Vor den vielen Zuschauern an der Zielgeraden ließ ich mir nichts anmerken, hier war absolute Professionalität gefragt. Gleich danach ging´s in enge Gässchen, da konnte man unbemerkt mächtig schnaufen und den Schmerz über das Gesicht aus dem Körper lassen. Die Lippen waren auch total ausgetrocknet und standen etwas ungewöhnlich verzerrt zu einander.

Der Kommentator schrie etwas von: „Hier C.M. vom Team rocathlon, geht in seine 7. Runde“ in sein Mikrofon, so dass ich rundentechnisch wieder auf dem Laufenden war. Die Konkurrenz griff nun allerdings zu unlauteren Mitteln. Sie versteckte sich, wartete bis ich vorbei war, und überholte mich dann von hinten mit lauten „REEEECHTS!“- und „LIIINKS!“-Schreien. Mit solchen Machenschaften wollte ich nichts zu tun haben, immerhin ging es um Radkrieg by fair means.

Ich entschloß mich kurzerhand, die Verstecküberholspieler fortan nicht mehr als berechtigte Starter anzuerkennen, was bedeutete, dass mit mir noch genau 3 Fahrer im Rennen waren, die es durch taktische Klugheit auszuschalten galt. Einen von Ihnen hatte ich allerdings schon in der 1. Runde ausgeschaltet. Der saß wohl zum ersten Mal auf einem Cyclocrosser, fuhr immer sehr vorsichtig um die Kurven und schaute sich dabei ängstlich nach mir um. Wie gesagt, ich erlöste ihn bereits in der 1. Runde. Einen weiteren Fahrer zwang ich in die Knie, indem ihm seine Kette absprang. Später sah ich in der Ergebnisliste, dass ein anderer Fahrer bereits in der 2. Runde aufgegeben hatte. Er hat seine Chance gehabt, gegen mich anzutreten.

Ich musste mich wohl verhört haben, denn am Ende der 7. Zielgeraden lenkte mich das Absperrband ins Ziel, obwohl ich noch eine Runde hätte fahren müssen. Kurz hinter mir kamen noch Fahrer ins Ziel (die Überholversteckspieler), die laut Kommentator 8 Runden gefahren waren. Ich werde mich beim Veranstalter beschweren. Schließlich haben wir alle das gleiche Startgeld bezahlt.

Mein Resümee:

Eine tolle Veranstaltung, der absolute Kick, jederzeit wieder. Mein 20. Platz ist relativ: Er ist sauber und ohne Tricks herausgefahren. Ein Leistungsvergleich mit den anderen 19 Fahrern vor mir ist nicht möglich. Sie durften 8 Runden fahren und ich nur 7, was einen Vergleich der Zeiten unmöglich macht.

Ich glaube, wie gesagt, ich war ganz klar der bessere Fahrer. Bei Bayern München machen Sie jetzt ein Radteam auf. Ich denke, ich werde mich bewerben.

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